Burgdorf

Bernd Lange: Ein Scheitern von TTIP wäre kein Weltuntergang

[BURGDORF]

Bernd Lange sieht keine greifbaren Fortschritte bei den Verhandlungen der EU mit den USA. TTIP ("Transatlantic Trade and Investment Partnership") ist das von der EU und den USA angestrebte Handels- und Investitionsabkommen. Am vergangenen Freitagabend nutzten circa 80 BurgdorferInnen das Angebot der Burgdorfer SPD, sich von Bernd Lange kompetent über den aktuellen Verhandlungsstand des angestrebten umfangreichen Vertragswerks informieren zu lassen.

Bernd Lange ist Vorsitzender des Handelsausschusses im Europäischen Parlaments und dessen Berichterstatter für TTIP. Die Verhandlungen über ein Handels- und Investitionsabkommen der EU mit den USA hatten am 8. Juli 2013 begonnen. Für Europa verhandelt die Europäische Kommission. Zunächst waren die Verhandlungen sehr geheim. Inzwischen können statt der anfänglich 13 aktuell sämtliche 751 EU-Parlamentarier die Dokumente einschließlich der Verhandlungsprotokolle einsehen. Die Verhandlungsposition der EU ist inzwischen veröffentlicht und seit den Veröffentlichungen durch Greenpeace stehen auch die Positionen der USA mit dem Stand von etwa Ende 2015 im Netz.

Insgesamt geht es um drei sogenannte "Körbe": den Marktzugang, die Standards und Regeln. Dabei spielen die Höhe der Zölle in vielen Bereichen nur noch eine unwesentliche Rolle, sie betragen im Durchschnitt 4 Prozent. Ausnahmen sind zum Beispiel Schuhe mit 56 Prozent oder der hier so beliebte und in Hannover Stöcken hergestellte VW-Bus, auf den als "landwirtschaftliches Fahrzeug" 25 Prozent Zoll gerechnet werden.

Freihandel sei rein historisch betrachtet eine fortschrittliche Idee. Zwei Nationen, die Handel treiben, profitieren davon. Doch so einfach sei die Welt nicht mehr. Selbst wenn der Freihandel für alle Volkswirtschaften Vorteile bringe, bedeute das nicht, dass das für jeden in der Volkswirtschaft Vorteile habe. Besondere Schwierigkeiten bereitet auch die Regelung des Marktzugangs für Dienstleistungen, der Daseinsvorsorge und der kulturellen Vielfalt.

Bilaterale Verhandlungen sind eine Möglichkeit, den Grundstein für globale Standards zu setzen. Die Gespräche mit den USA über TTIP verfolgen diesen Ansatz. Wie wirken unterschiedliche Standards, zum Beispiel Sicherheitsstandards? Dazu ein Beispiel: In Maschinen müssen Elektrokabel bestimmten Anforderungen genügen. Da die Vorschriften in der EU und den USA unterschiedlich sind, müssen Hersteller in die US-Version andere Kabel einbauen, dies erschwert den Produktionsablauf und steigert die Kosten etwa um 8 bis 28 Prozent. Bei Lebensmitteln gilt in der EU das Vorsorgeprinzip (Kontrolle durch staatliche Stellen), in den USA das Nachsorgeprinzip: kein Zulassungsverfahren, aber der Hersteller haftet für Schäden. Dabei werden oft uns astronomisch anmutende Summen als Schadenersatz fällig und würden so die Existenz eines kleineren europäischen Unternehmens (als Exporteur) gefährden.

Im "Korb 3" der Regeln bestehen große Unterschiede zum Beispiel beim Schutz geistigen Eigentums, bei Produkten mit regionaler Herkunft und den Arbeitnehmerrechten analog der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. So gibt es insbesonders in den südlichen Staaten der USA Rechte für Unternehmer, quasi Gewerkschaften im Betrieb zu verhindern. Dort investieren aber auch deutsche Firmen gern (Chattanooga – VW). In den Korb 3 fallen auch die besonders umstrittenen privaten Schiedsgerichte. Ursprünglich in vor allem auch deuschen bilateralen Investitionsabkommen verankert, erscheinen sie wegen der gut entwickelten stabilen Rechtssysteme der Verhandlungspartner nicht mehr zeitgemäß.

Die Anforderungen sind für die Sozialdemokraten hoch: TTIP müsse ambitionierte Standards im Verbraucherschutz und bei Arbeitnehmerrechten garantieren, demokratische Entscheidungsprozesse respektieren, unlautere Klagen ausländischer Investoren von vornherein ausschließen und Chancen für europäische Unternehmen schaffen, insbesondere für Klein- und Mittelbetriebe.

Bernd Lange spricht Klartext. Immer wieder betont er, dass er keinem Abkommen zustimmen würde, dass Standards für Verbraucher oder Arbeitnehmerrechte senken würde. "Aber warum ist es sinnvoll zu verhandeln?" Gerade weil ein fairer Handel verbindliche Regeln brauche und so Standards durchgesetzt werden, die beispielsweise vor Sozialdumping schützen. "Und wenn es um Standards geht, kann man keine Kompromisse machen."

Bernd Lange antwortet später so auf die Frage, ob es sich Europa leisten könne, das Abkommen nicht umzusetzen: Ein Scheitern von TTIP wäre kein Weltuntergang. "Globalisierung ist nichts zum Verlieben. Aber sie ist da. Wer streitet, kann verlieren. Wer gar nicht streitet, hat schon verloren."

Das Abkommen kann letztlich nur in Kraft treten, wenn das Europäische Parlament zustimmt. Selbstverständlich müssen die demokratische Kontrolle und Regulierungshoheit der Parlamente jederzeit gesichert sein – vor, während und nach Abschluss der Verhandlungen. Wenn es um sensible Bereiche geht, sind zwei weitere Dinge klar: In vielen Fragen wird es keine Kompromisse geben können – und es muss absolute Transparenz gelten. So hat das Europäische Parlament bereits ein Handelsabkommen mit Marokko und ACTA (Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen, "Anti-Piraterie-Abkommen") abgelehnt.

Trotz langer TTIP Verhandlungsdauer konnte erst ein Kapitel abgeschlossen werden. Dabei geht es um den Internetauftritt kleiner und mittlerer Unternehmen – wichtig zum Beispiel für Fragen der Produkthaftung.

Nach einer Publikumsfrage ging Bernd Lange ausführlich auf CETA ein – das Handelsabkommen mit Kanada. Es enthält gegenüber TTIP positive Elemente, insbesondere zum Investitionsschutz, zu Arbeitnehmerrechten und zu Dienstleistungen. Die SPD wird in einem Konvent am 15. September 2016 in Wolfsburg ihre Haltung zu den Abkommen festlegen.

Im Schlusswort bedauerte der Ortsvereinsvorsitzende Ahmet Kuyucu, dass kein Burgdorfer, der die SPD im Vorfeld auf TTIP angesprochen habe, zur Veranstaltung gekommen sei. Er war jedoch insgesamt sehr erfreut über das starke Interesse und bedankte sich herzlich bei Bernd Lange für dessen Engagement.

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