Burgdorf

Veranstaltungen gedenken zur Buchvorstellung „Im Schatten des Vergessens“

[BURGDORF]

Am 31. August und 1. September fanden anlässlich der Buchvorstellung des vom Arbeitskreis Stadtgeschichte Burgdorf erarbeiteten Buches "Im Schatten des Vergessens" mehrere Veranstaltungen zum Gedenken an die Bewohner des Lagers "Ohio" in Burgdorf statt.

Um den Veranstaltungen beizuwohnen sowie der Zeit des Lagers "Ohio" und den damit verbundenen menschlichen Schicksalen zu gedenken, sind ehemalige Lagerbewohner sowie Angehörige bereits verstorbener Lagerbewohner aus der ganzen Welt nach Burgdorf gereist. Als Auftaktveranstaltung empfing Bürgermeister Alfred Baxmann am 31. August zunächst die größtenteils ausländischen Gäste im Rathaus II. Nach der Begrüßung durch den Bürgermeister stellte Dr. Judith Rhode die angereisten Gäste vor, welche den Weg aus Kanada, den USA, Schweden, Frankreich, Belgien sowie aus deutschen Städten auf sich genommen haben: Der 94-jährige Alfons Heirbaut aus Belgien war mit Sohn und Schwiegertochter zu Besuch in Burgdorf. Er war Zwangsarbeiter auf dem Hof von Adolf Rhode an der Uetzer Straße und wurde im Gegensatz zu der damals geltenden Nazidoktrin wie ein Familienmitglied aufgenommen. Auch heute noch bestehen freundschaftliche Beziehungen nach Burgdorf.

Daria und Pieter Valkenburg reisten aus Kanada an. Darias Vater hat mit 14 Jahren seine Heimat in der Ukraine verlassen und kam auf der Suche nach Arbeit und Lebensmöglichkeiten nach Deutschland. Nach dem Krieg wurde das Camp für ihn zum Rückzugsgebiet um der Repatriierung in die Ukraine zu entgehen und seine Ausreise nach Kanada vorzubereiten. Schon bevor das Buchprojekt gestartet ist, hat Daria die Geschichte ihres Vaters erforscht und ein Ohio-Ukrainer-Netzwerk in Form einer Internetplattform gegründet. Sie hat ihre erforschten Informationen zur Verfügung gestellt und damit einen großen Beitrag zum Buch geleistet. Roman Berezowsky aus Kanada war vier Jahre alt, als er mit seinen Eltern nach Burgdorf kam. Seine Eltern engagierten sich im Lagerleben und leiteten das Lagerorchester. Sein Vater spielte Fußball und beteiligte sich am Aufbau der Lagerschule, während seine Mutter als Kindergärtnerin tätig war. Die Familie verließ Burgdorf 1948. Begleitet wurde Roman Berezowsky von seiner Frau Marilyn.

Aus Schweden zu Gast in Burgdorf waren Janne und Annkristin Anderson. Jannes Mutter hat Polen mit dem Wunsch verlassen, in einer Schuhfabrik zu arbeiten, wurde aber stattdessen in Burgdorf zur Zwangsarbeit verpflichtet. Aufgrund der Lebensmittelknappheit während des Krieges fälschte sie Lebensmittelmarken und wurde deshalb im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert. Von dort aus gelang sie nach Kriegsende mit den "Weißen Bussen" nach Schweden.

Gene und Marianne Rurka reisten aus den USA nach Burgdorf an. Genes Eltern sind als Zwangsarbeiter für die Landwirtschaft nach Burgdorf gebracht worden. Gene wurde 1947 in Celle geboren und in der Lagerkirche des Camps getauft. 1950 ist die Familie in die USA emigriert.

Ebenfalls in den USA leben Alla und Richard Rusz. Allas Familie stammt ursprünglich aus der Ukraine und hat unter anderem die Bombennächte in Dresden überlebt. Nachdem sie anschließend in Bremen gewohnt haben, kamen sie ins Camp "Ohio" nach Burgdorf. Während ihrer Zeit hier hat sie die Mittelschule besucht, in der sie Else Greifenstein kennengelernte, mit der sie bis heute befreundet ist und die sie bei den Veranstaltungen begleitete.

Lech und Inge Fronczak aus Schillerslage hatten den kürzesten Weg nach Burgdorf. Lech Fronczak wurde 1941 von der Gestapo aus Polen verschleppt und nach Deutschland als Zwangsarbeiter gebracht. Er arbeitete in Großmoor in der Landwirtschaft bei Familie Maheine, die ihn wie seinen eigenen Sohn behandelte.

Laurent und Marie-Ange Naulleau sind aus Frankreich angereist. Der Vater von Marie-Ange war ebenfalls im Camp "Ohio", konnte aber bereits im Juli 1941 auf Basis eines Abkommens zwischen Deutschland und Frankreich aufgrund von besonderen Familiensituationen nach Frankreich zurückkehren.

Der Großvater von Dr. Helmut Klatt aus Gütersloh war ein Kriegsgefangener und arbeitete in Dachtmissen als Zwangsarbeiter. Er wurde am 9. August 1944 im Konzentrationslager Neuengamme mit 30 weiteren Gefangenen für die Planung eines Aufstandes gehängt.

Larissa Lukjanenko kommt aus Brasilien, lebt aber derzeit in München. Ihre Großeltern haben in Burgdorf geheitratet und arbeiteten als Zwangsarbeiter in einer Möbelfabrik. Sie sind 1947 nach Brasilien ausgewandert.

Der Vater des in Berlin lebenden Harald Scherdin-Wendlandt war als Zwangsarbeiter aus der Ukraine in "Ohio" untergebracht. Er wanderte nach Australien aus und ließ Mutter und Kind zurück. Erst viele Jahre später machte Harald Scherdin-Wendlandt seinen Vater ausfindig.

Nach einem gemeinsamen Abendessen und einem ersten Kennenlernen fanden sich die ausländischen Gäste gemeinsam mit vielen interessierten Bürgerinnen und Bürgern zu der Buchvorstellung in der St.-Pankratius-Kirche ein. Um sich an das Leiden und Leben der Lagerbewohner und das weithin in Vergessenheit geratene Kapitel zu erinnern, hielten sowohl Bürgermeister Baxmann als auch die stellvertretende Regionspräsidentin Petra Rudszuck sowie der frühere Kultusminister und Landtagspräsident Prof. Rolf Wernstedt bewegende Reden. Die vorgelesenen Buchauszüge, die unter anderem die Geschichte einiger angereister Gäste erzählen und die von Pastor Rudolf Bembenneck verfasste und aufgrund einer schweren Operation von seiner Tochter vorgelesenen Rede, trafen auf große Resonanz und berührten die Anwesenden in der Kirche zutiefst.

Die Enthüllung der neuen Gedenktafel an das Lager "Ohio" erfolgte am 2. September am StadtHaus, wo sich noch bis vor 67 Jahren die Baracken des Lagers befunden haben. Die Annahme, dass jährlich tausende von Menschen die Tafel passieren werden und dem Kapitel der Stadtgeschichte gedenken, hat laut Baxmann nach langen Überlegungen dazu geführt, dass die Entscheidung auf das StadtHaus als Erinnerungsort gefallen sei. Die Botschaft des Tages, so Baxmann, sei, dass es darum gehe sich zu erinnern, um Zukunft zu gestalten. Eine Zukunft in der Menschenwürde und Menschenrechte Selbstverständlichkeiten sind und in der Menschen verschiedener Ethnien friedlich sowohl in Burgdorf als auch in der ganzen Welt zusammenleben können.

Auch zwei ehemalige Lagerbewohnerinnen, die aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen nicht anwesend sein konnten, hinterließen mit ihren von Karolin Kallina vorgelesenen Briefen einen Eindruck, welche Bedeutung die Realisierung des Projektes für die Betroffenen hat. Trotz all ihrer negativen Erfahrungen, habe die Zeit ihnen auch positive Fähigkeiten gelehrt und ihren Charakter nachhaltig definiert. So verstanden sie die Wichtigkeit des füreinander Sorgens sowie des Teilens und lernten, was es bedeutet, Kraft zu entwickeln. Fähigkeiten, die auch heute noch von großer Bedeutung sind.

Die im Anschluss an die Enthüllung gezeigte Diashow wurde von Daria Valkenburg und Vertretern der Arbeitsgruppe vorbereitet und zeigte Bilder, die im Rahmen des Buchprojektes zusammengetragen wurden. Die Bilder vermittelten einen Eindruck vom alltäglichen Leben im Lager: von den dort angebotenen Freizeitaktivitäten, dem Schulunterricht und dem Arbeitsalltag der Lagerbewohner und zeigten unter anderem die Verwandten sowie die ausländischen Gäste selber. Trotz der zahlreichen Erklärungen zu jedem Bild, wurde die nachfolgend stattfindende Fragerunde zahlreich in Anspruch genommen. Auch dies verdeutlichte abschließend, dass das Buch nicht nur eine große Bedeutung für die Betroffenen selber hat, sondern auch auf ein großes Interesse der Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt Burgdorf an die weithin in Vergessenheit geratene Zeit trifft.

Lager "Ohio" – Die Gedenktafel

Ein großes Gelände zu beiden Seiten der Sorgensener Straße wurde 1942 zum Standort der "Feuerschutzpolizei-Abteilung Hannover/Burgdorf" mit 26 Baracken und Fahrzeughallen auf einer Fläche von 75.000 Quadratmetern.

Im April 1945 richteten die alliierten Streitkräfte hier das Lager "Ohio" für ausländische Menschen ein, die in Folge des zweiten Weltkrieges als heimatlos galten: ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Kriegsflüchtlinge. Sie wurden als "displaced persons" (DP) bezeichnet. Im DP-Lager "Ohio" lebten bis April 1950 zeitweise mehr als 1000 Personen osteuropäischer Herkunft, unter ihnen viele Ukrainer. Für sie war es eine Zeit des Bangen und Hoffen. Der überwiegende Teil von ihnen fand schließlich eine neue Heimat in Brasilien, Australien, Großbritannien, Kanada, den USA und anderen Staaten.

Ein ausdrücklicher und aufrichtiger Dank ging an die Mitglieder des Arbeitskreises Stadtgeschichte Burgdorf für den unermüdlichen Einsatz, den sie für die akribische Aufarbeitung des Themas aufgebracht haben. Ohne das Engagement jedes einzelnen von ihnen wäre die Realisierung des Projektes nicht möglich gewesen. Namentlich seien hier zu erwähnen: Rudolf Bembenneck (Interview, Textvorlage, Organisation), Ralf Gräfenstein (Historiker), Dieter Heun und Heidi Rust (Recherche und Lektorat), Peter Pfeiffenbring (unter anderem Auswertung der Daten des Einwohnermeldeamtes), Harald Scherdin-Wendlandt (Suche nach Vater gab den Anstoß für das Buchprojekt) und Dr. Tobias Teuber (Recherche in ausländischen Archiven).

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