Mehr als 600 Jahre alt: Turm der Otzer Kapelle ist viel älter als gedacht
Im Rahmen der vom 20. bis 22. April 2017 durchgeführten bauhistorischen Untersuchung des Turm der Otzer Kapelle, ein sogenannter Glockenstapel, wurden Bohrkerne zur dendrochronologischen Datierung des Turmes entnommen (der AltkreisBlitz berichtete). Inzwischen sind diese vom Fachlabor Pressler (Gersten/Emsland) ausgewertet worden. Hierbei stellte sich heraus: Der Otzer Turm ist um einiges älter als angekommen. Bislang wurde angenommen, dass der ursprüngliche Turm, der zum 1460 datiert wurde, Mitte des 18. Jahrhunderts neu errichtet wurde. Die Untersuchung vom Bauhistoriker Dr. Amt hat nun ergeben, dass der ursprünliche Turm noch steht und noch älter als angenommen, nämlich um 1405 errichtet wurde. "wir sind beeindruckt", erklärt hierzu Pastorin Susanne Paul.
Die Dendrochronologie ist ein naturwissenschaftlich abgesichertes Verfahren zur Bestimmung des Einschlagdatums von Bauhölzern. Dabei werden aus verbauten Hölzern Bohrkerne entnommen, an denen ein Fachlabor die Dicke der Jahresringe mißt. Bei guter Probenqualität (hohe Anzahl der Jahresringe und ähnliches) und Vorhandensein der Waldkante ist im Abgleich mit Normkurven eine im besten Falle halbjahrgenaue Datierung der Fällung des beprobten Holzes leistbar. Da Bauhölzer früher frisch verbaut worden sind, ist – bei Ausschluß von Vorverwendungen – somit durch Hinzurechung von maximal ein bis zwei Jahren eine äußerst genaue Datierung der Errichtung möglich.
Zur dendrochronologischen Datierung wurden dem Otzer Glockenturm sechs Proben aus wesentlichen Konstruktionshölzern entnommen. An den beprobten Hölzern wurden keine Spuren von Vorverwendungen festgestellt.
Hierbei ergab sich, dass das Holz der Ständer vorwiegend am Anfang des 15. Jahrhunderts, genau genommen im Zeitraum von 1396 bis 1409, geschlagen worden sein muss. Andere Teile wie der Dachbalken (um 1557) und der obere Riegel in einer nachträglichen Kreuzstrebe (um 1748) sind dagegen jüngeren Datums.
Vier der aus dem Otzer Glockenstapel entnommenen Proben stammen aus den groß dimensionierten Eckständern und damit aus grundlegenden Konstruktionshölzern, die aufgrund ihrer Dimension auch den Ausschluss von Vorverwendungen zweifelsfrei ermöglichen. Während ein Eckständer nicht datierbar war, ergaben die drei übrigen Proben eindeutige Datierungen.
Aufgrund der halbjahrgenauen Datierung ergibt sich hierbei eine Fällung des Holzes für den nord-westlichen Eckständer der Konstruktion im Herbst oder Winter 1404. Die Hölzer der beiden anderen Eckständer wurden im Zeitraum von 1403 bis 1409 beziehungsweise von 1396 bis 1408 gefällt. Die Errichtung des Turmes ist demnach 1405 – spätestens aber 1406 – erfolgt.
"Die tradierte Darstellung, dass ein älterer Turm um 1763 durch einen Neubau ersetzt werden musste, ist damit eindeutig widerlegt. Auch die permanent wiederholte Datierung eines früheren Turmes in Abhängigkeit zu der 1461 erstellten Glocke auf 1460 ist als unzutreffend belegt", erklärt Dr. Amt in seiner Untersuchung. Der Turm, der in seiner weitgehend vollständig auch heute noch ungestörten Konstruktion erhaltenen ist, ist gegenüber diesen Annahmen um gut 50 Jahre älter. Es zeige sich damit zum wiederholten Male, dass Datierungen von Bauten anhand der Glockendatierungen zumeist nicht fundiert seien.
Die auf den Zeitraum von 1551 bis 1563 datierte Fällung des Holzes für den Dachbalken über dem Glockenträger deutet eine Umbau- oder Reparaturmaßnahme an, die jedoch derzeit in keinen konkreteren Zusammenhang gestellt werden kann.
Der halbjahrgenau auf Frühjahr oder Sommer 1748 datierte Riegel in dem an der Ostseite nachträglich eingestellten Aussteifungskreuz gibt dagegen einen sehr konkreten Anhaltspunkt für die vorgenommene statische Sanierung des Turmgerüstes. Diese kann aufgrund der gleichen Ausführungsart mit ausreichender Sicherheit auch auf die nachträgliche an der Südseite errichtete Aussteifung übertragen werden. Aber auch hier zeige sich, dass diese Maßnahme zumindest nicht in einem direkten zeitlichen Zusammenhang mit der zweiten – 1763 angefertigten – Glocke zu stehen scheint.
Damit belegt dendrochronologische Datierung entgegen den bisherigen Datierungen – auf 1763 beziehungsweise auf 1460/61 – dass der Otzer Glockenstapel um 358 beziehungsweise 56 Jahre älter ist, als bisher angenommen wurde.
Bisher sind die wenigsten der in Niedersachsen – aber auch europaweit – vorhandenen Glockenstapel in dieser Weise konkret datiert. Das Büro für Historische Bauforschung, das auch den Otzer Glockenstapel untersucht hat, hat inzwischen neu Türme im Heidekreis, dem Landkreis Celle und der Region Hannover untersucht. Der Otzer Turm liegt in dieser Gruppe hinsichtlich des Alters nach Meinerdingen und Kirchhorst an dritter Stelle.
Download: 170511_Otze_Dendro_Pressemitteilung.pdf